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DokumenttypDocTypeInterviewUndNamensartikel | Datum29. August 2022„Single-Partys mit Maske machen keinen Spaß“

Bundesjustizminister Buschmann über Corona-Regeln für den Winter, Panikmache und sein Image als Büroklammer.

Interviewter Marco Buschmann
Interviewer Helene Bubrowski und Corinna Budras
Medium Frankfurter Allgemeine Zeitung
Ausgabe Bundesjustizminister Buschmann über Corona-Regeln für den Winter, Panikmache und sein Image als Büroklammer. AusgabeNrVom

FAZ: Herr Minister, in diesem Winter können wieder Partys und Massenveranstaltungen stattfinden - sogar ohne Maske. Sie haben das "verantwortbare Normalität" genannt. Sind wir schon wieder in der Normalität angekommen?

Buschmann: Wir sind jedenfalls in einer deutlich besseren Lage als in den letzten Wintern. Wir haben eine viel breitere Grundimmunisierung in der Bevölkerung. Wir werden im Herbst ausreichend angepasste Impfstoffe haben. Wir haben effektive Medikamente. Deshalb wollen wir den Bürgerinnen und Bürgern natürlich möglichst wenig in ihrem Alltag zumuten. Wenn ein Bundesland die Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen beschließen sollte, muss es bei Kultur-, Freizeit- oder Sportveranstaltungen eine Ausnahme für getestete Personen vorsehen. Denn Public Viewings bei der Weltmeisterschaft oder Singlepartys machen mit Maske einfach keinen Spaß. Daher können Veranstalter unter Anwendung ihres Hausrechts auch maskenfreie Veranstaltungen durchführen - eben mit getesteten Gästen. Das ist epidemiologisch verantwortbar.

Wie viel Normalität ist denn in Ihrem eigenen Leben schon angekommen? Sie schütteln wieder Hände, haben wir festgestellt. Wie halten Sie es mit der Maske?

Wir haben im Frühjahr für fast alle Bereiche Covid-Schutzmaßnahmen abgeschafft. Ich bin damals massiv dafür angegriffen worden. Diese Leute sind nun durch die Wirklichkeit Lügen gestraft worden. Wir sind sehr stabil durch den Sommer gekommen. Es darf nicht sein, dass wir uns an Corona-Schutzmaßnahmen als eine neue Normalität gewöhnen. Das sind Grundrechtseingriffe, die müssen immer eine Ausnahme sein. Ich selbst trage etwa im Supermarkt nach wie vor freiwillig Maske. Das ist meine persönliche Entscheidung. Das habe ich gemacht, bevor ich mich im Juli mit Corona infiziert habe und auch danach. Jetzt müssen wir uns aber für Herbst und Winter vorbereiten.

Nach den Regeln, auf die sich das Kabinett nun geeinigt hat, soll Maskenpflicht im Fernverkehr bestehen und Masken- und Testpflicht in Kliniken und Pflegeheimen. Darüber hinaus können die Länder weiter gehende Maßnahmen beschließen. Was ist das Ziel der Regeln?

Wir sind jetzt in einer neuen Phase der Pandemie. Es geht nicht mehr darum, jede einzelne Infektion zu verhindern. Bürgerinnen und Bürger entscheiden selbst, welchen Risiken sie sich aussetzen. Und solange sie die Konsequenzen dieser Entscheidung in erster Linie selber tragen, ist es richtig so, dass ihnen da niemand reinredet. Ziel ist es, das Infektionsgeschehen in einem Rahmen zu halten und nicht tragbare negative Auswirkungen für das Gemeinwesen zu verhindern. Gemeint ist vor allem eine Überlastung des Gesundheitssystems und der kritischen Infrastruktur insgesamt.

Es ist unwahrscheinlich, dass alle Bundesländer dieselben Maßnahmen verhängen. Gut möglich, dass in einem Land frisch Geimpfte ohne Maske ins Lokal gehen können, in einem anderen ein Test erforderlich ist, in einem dritten gar keine Maskenpflicht besteht. Kommt der Flickenteppich zurück?

Gestaltungsspielraum in einem moderaten Rahmen für die Länder ist sogar der Kern des Konzepts. Die Länder können beim Erfüllen gewisser Voraussetzungen Maßnahmen verhängen, sie müssen aber nicht.

Heißt das, Sie wollen den Flickenteppich?

Das Wort Flickenteppich ist eine polemische Zuspitzung und verkennt den föderalen Staatsaufbau unseres Landes. Dass unterschiedliche Regeln in vielen Bereichen gelten, ist der Normalfall im Föderalismus. Die Länder sind für die Gefahrenabwehr zuständig. Jedes Land hat auch sein eigenes Polizeigesetz. Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren gesehen, dass sich die Pandemie sehr unterschiedlich entwickeln kann. Wir hatten Monate, da tobte die Pandemie schlimm in Sachsen, aber in Schleswig-Holstein gab es kaum Auswirkungen. Und da hat es der Akzeptanz der Maßnahmen geschadet, wenn die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein genauso schwere Maßnahmen erdulden mussten wie die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen. Deshalb glaube ich, dass es eine vernünftige Regel ist, dass die Länder in Kenntnis der Lage vor Ort entscheiden können, von welchen Schutzmaßnahmen sie Gebrauch machen. Der Spielraum dafür ist ja aus grundrechtlicher Sicht sehr moderat gewählt.

Sollen die Tests weiter drei Euro kosten?

Ja, Sie können aktuell für den Gegenwert eines Softdrinks in eine maskenfreie Veranstaltung kommen, wenn Veranstalter oder Betreiber das anbieten. Es kann aber auch sein, dass viele Landesregierungen von der Maskenpflicht in Innenräumen gar keinen Gebrauch machen. Aber wenn es doch anders sein sollte, können die Menschen sagen: Heute Abend will ich ausgehen und feiern und nicht beim Tanzen auf der Tanzfläche eine Maske vor der Nase haben. Mit der Ausnahme für Getestete können wir ermöglichen, dass Veranstalter das dann trotz Maskenpflicht in einem Bundesland anbieten können.

Es knirscht häufig zwischen Ihnen und Ihrem Kabinettskollegen, Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD. Sind Sie voneinander genervt?

Wir haben ein professionelles und konstruktives Arbeitsverhältnis, aber es ist natürlich so: Er hat aus seiner Rolle heraus andere Vorstellungen, und er ist in der Ausübung seiner Rolle leidenschaftlich engagiert. Aber ich habe natürlich auch leidenschaftliche Überzeugungen, zum Beispiel beim Thema Verhältnismäßigkeit, Grundrechtsschutz und bei der Frage: Was kann man der Bevölkerung dauerhaft zumuten? Es wäre seltsam, wenn es im Gesundheitsministerium und Justizministerium nicht unterschiedliche Perspektiven gäbe. Dieser 360-Grad-Blick macht gerade die Qualität des Gesetzentwurfs aus, um den wir lange und hart gerungen haben. Bisher hatte man ja zuweilen den Eindruck, die Corona-Politik wäre ein Schlachtfeld der wildesten Auseinandersetzungen. Aber jetzt sind die Reaktionen ja vergleichsweise wohlwollend, wenn man das mit Entscheidungen der Vergangenheit vergleicht.

Ziehen wir Bilanz nach zweieinhalb Jahren Corona-Politik. Die FDP hat sich früh als Alternative zum Team Vorsicht präsentiert, damals noch in der Opposition. Wo stünden wir, wäre die Politik früher auf Ihren Kurs umgeschwenkt?

Wir haben eine andere Corona-Politik versprochen. Dieses Versprechen haben wir gehalten. Denn wir haben das Konstrukt der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" stillgelegt und die Entscheidungen ins Parlament zurückgeholt. Damit haben wir dafür gesorgt, dass nicht irgendwann nachts in einer Ministerpräsidentenkonferenz die entscheidenden Wegmarken gesetzt werden, sondern in geregelten Verfahren.Vor allem haben wir für mehr parlamentarische Transparenz und mehr demokratische Legitimation gesorgt.

Lauterbach hat die epidemische Lage von nationaler Tragweite wieder ins Spiel gebracht. Er sagte, wenn durch neue Virusvarianten eine andere Bedrohungslage entstehe, lasse sich Paragraph 28 a des Infektionsschutzgesetzes mit Lockdowns und Schulschließungen reaktivieren.

Von Panikmache halte ich gar nichts. Für solche Virusvarianten gibt es derzeit nirgendwo Anzeichen. Der Paragraph 28 a ist totes Recht. Wir haben ihn bewusst im letzten Jahr stillgelegt, lange bevor andere europäische Staaten ihre Notstandsregelungen beendet haben. Zur Reaktivierung müsste der Bundestag dem zustimmen. Dafür gibt es keine Mehrheit in der Koalition. Denn die Freien Demokraten haben gesagt, es müsste sich schon regelrecht die Hölle unter uns auftun, ehe wir dem zustimmen. Die Menschen sind ohnehin durch die ganzen Krisen sehr nervös. Da muss man sie nicht auch noch durch solche Horrorszenarien verrückt machen.

Die Wähler scheint das trotzdem nicht zu überzeugen, die Umfragewerte der FDP sind mies. Woran liegt das?

Wir sind Teil der Bundesregierung. Wir dienen Deutschland und nicht den Demoskopen. Wir sind die Partei, die einen Ausweg findet aus dem politischen Kalkül, bei den Corona-Maßnahmen immer nur mit einem "Schneller, höher, weiter" zu arbeiten. Das führte doch dazu, dass die Politik im Zweifel eher über das Ziel hinausgeschossen ist. Das ließ sich gut verkaufen. Verlierer dieses PR-Kalküls waren die Grundrechte. Die Aufgabe einer liberalen Partei ist, eine solche Spirale zu stoppen und sich jeden Tag neu bewusst zu machen, was wir den Menschen da zumuten. Unser Prinzip lautet lageangepasstes, aber vor allem verhältnismäßiges Handeln. Deshalb schalten wir Maßnahmen ab, wenn es vertretbar ist, und arbeiten mit moderaten Instrumenten, wenn es sich nicht verantwortbar vermeiden lässt. Selbst wenn es eine Mehrheit anders sähe, würden wir es trotzdem so machen. Denn Grundrechte sind individuelle Rechte, die nicht unter Vorbehalt der Mehrheit stehen. Es ist unsere heilige Pflicht als liberale Partei, diesen Gedanken zu verteidigen. Es muss in der Politik darum gehen, das Richtige zu tun, und nicht nur immer darum, wie man ein oder zwei Prozent gutmachen kann.

Aber wenn es richtig ist, warum kommt es dann nicht an?

Die FDP war ja schon immer eine Partei, bei der man starke Nerven braucht. Wir haben als neue Bundesregierung einen ambitionierten Koalitionsvertrag mit vielen liberalen Projekten. Viele nannten ihn die "gelben Seiten", weil wir viel Gutes beigetragen haben. Aber jeder spürt doch, dass der grausame Angriffskrieg auf die Ukraine die Prioritäten verändert. Andere Themen stehen im Zentrum, und die Aufmerksamkeit liegt bei anderen. Entscheidend ist, dass wir gut regieren. Natürlich wünschen sich manche, dass der Staat alle Krisenfolgen auffängt. Das kann aber nicht nachhaltig funktionieren. Wir müssen Prioritäten setzen, die Schuldenbremse einhalten und mit aller Kraft daran arbeiten, auf marktwirtschaftliche Weise zu einer besseren Energieversorgung zu kommen. Ansonsten fällt uns das später gewaltig auf die Füße. Dann erben unsere Kinder Schuldenberge, unsere Währung wird weich, und wir haben eine noch höhere Inflation.

Ihre Corona-Politik fand bei den jungen Menschen durchaus Anklang, die älteren Wähler schreckte sie eher ab. Sind Sie eine Partei der Jungen?

Wir waren bei der Bundestagswahl die erfolgreichste Partei bei jungen Menschen. Aber die FDP ist kein Generationenprojekt, das war sie noch nie. Wir richten uns an alle Menschen, denen Freiheit, Rechtsstaat, Marktwirtschaft und solide Finanzen wichtig sind - und das sind natürlich Ältere wie Jüngere gleichermaßen.

Aber Sie versuchen schon, sehr offensiv bei den jungen Menschen zu punkten. Sie haben jüngst gesagt: "Mein persönliches Ziel ist es, dass wir im nächsten Jahr so weit sind, dass wir vielleicht unseren ersten legalen Joint verkaufen können."

Auch da geht es doch um die Frage, was richtig ist. In der Koalition haben wir uns auf die Cannabis-Legalisierung geeinigt. Es geht ja nicht darum, dass jeder beliebig kiffen kann, aber dass erwachsene Menschen in lizenzierten Verkaufsstellen ein qualitätsgesichertes Cannabis-Produkt erwerben können.

Die Formulierung widersprach nur diesem Büroklammer-Fußnoten-Image, das Sie sonst pflegen.

Manchmal mag ich es, kommunikative Klischees zu brechen, manchmal bediene ich sie. Und warum? Weil ich mir wünschen würde, dass vielleicht mehr auf das gehört würde, was man inhaltlich vorträgt.

Was ist echt, und was ist Klischee?

Ich bin vermutlich aus der Sicht vieler Menschen eher die Büroklammer, weil ich sehr viel lese, aber weder Alkohol trinke noch jemals in meinem Leben Cannabis konsumiert habe.

Und wie sehen Sie sich selbst?

Ich bin ein sehr strukturierter Mensch. Das kann man als Büroklammer bezeichnen, und trotzdem mag ich es, elektronische Musik zu produzieren. Vielleicht ist es ja manchmal so, dass Menschen komplexer sind, als es das Schubladendenken zulässt, und das Komplexe interessanter ist als das plumpe Klischee.

Das Gespräch führten Helene Bubrowski und Corinna Budras.