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DokumenttypInterviews und Gastbeiträge | Datum30. August 2024"Es gibt ein ernsthaftes Vollzugsproblem im Ausländerrecht"

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit den Ruhr Nachrichten über das Ausländerrecht, die Unterhaltsreform und wie Schwarzfahren entkriminalisiert werden soll.

Medium Interview

Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.

Ruhr Nachrichten: Nachgeschobene Frage: Welche politischen Konsequenzen empfehlen sich nach Solingen?

Dr. Marco Buschmann: Die terroristischen Morde von Solingen schockieren mich. Es muss nun genau aufgeklärt werden, warum der Täter, der eigentlich abgeschoben sein sollte, noch in Deutschland war. Alle Stellen sind hier gefordert, gerade auch die Behörden in NRW. Politik und Verwaltung müssen das ihnen mögliche tun, damit sich so ein schreckliches Verbrechen nicht wiederholt.

Was schlagen Sie vor?

Aus meiner Sicht wird es vor allem um zwei Dinge gehen. Erstens: Wir müssen den gewaltbereiten Islamismus noch stärker bekämpfen. Solingen war bereits die zweite terroristische Mordtat in diesem Jahr in Deutschland, die auf das Konto des gewaltbereiten extremistischen Islamismus geht. Gegen diese mörderische Ideologie muss unser Staat mit größter Entschlossenheit vorgehen. Zweitens: Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen konsequent aus Deutschland abgeschoben werden, die hier kein Bleiberecht haben. Der Attentäter von Solingen hätte eigentlich nach Bulgarien überstellt werden müssen. Die rechtlichen Grundlagen dafür waren gegeben. Der Fall zeigt einmal mehr: Es gibt ein ernsthaftes Vollzugsproblem im Ausländerrecht. Zuständig für den Vollzug des Ausländerrechts sind in erster Linie die Länder. Doch natürlich ist auch die Bundesregierung in der Pflicht. Wir werden offen mit den Ländern besprechen, was wir dazu beitragen können, damit Abschiebungen und Überstellungen in der Praxis auch funktionieren. Ausreisepflichten dürfen nicht nur auf dem Papier stehen. Sie müssen durchgesetzt werden.

Auch Verschärfungen des Waffenrechts sind denkbar, aber nur soweit sie sinnvoll sind. Klar ist: Das deutsche Waffenrecht ist schon heute eines der strengsten der Welt. Der Mörder von Solingen hat sich um das geltende Recht nicht geschert. Und ihn hätte auch eine höhere Bußgeldandrohung nicht beeindruckt. Trotzdem können punktuelle Verschärfungen des Waffenrechts sinnvoll sein, sofern es auch eine Aussicht gibt, dass die Polizei sie durchsetzen kann. Ich denke hier an Befugnisse der Bundespolizei an Bahnhöfen oder die Stärkung individueller Waffenverbote. Zu diesen und damit zusammenhängenden Fragen stehe ich mit der Bundesinnenministerin in einem engen Austausch. Unsere gemeinsame Überzeugung ist: Wir brauchen effektive Maßnahmen - keine symbolpolitischen Schnellschüsse zulasten von Jägern oder Sportschützen.

Innenministerin Faeser hat die rechtsgerichtete Zeitschrift Compact verboten, das Gericht hat das vorerst wieder gestoppt. Hat Frau Faeser Sie angerufen und gefragt, was Sie von einem Verbot halten?

Das hat sie nicht und das muss sie auch nicht. Denn über diese Maßnahme hat das Innenministerium als zuständige Verwaltungsbehörde eigenständig entschieden. Ich habe davon selbst erst aus der Zeitung erfahren.

Aber ist das nicht eigentlich üblich? Wenn ich mich auf ein juristisches Fachgebiet begebe, sollte man dann nicht den Menschen in meinem Kabinettskreis fragen, der sich mit solchen Fragen vielleicht am besten auskennt?

Das Innenministerium ist auf seine eigene juristische Expertise sehr stolz. Es ist für Vereinsverbote zuständig. Deshalb sind Abstimmungen in solchen Verfahren auch nicht üblich.

Wie beurteilen Sie das Ganze jetzt? Ist das nicht ein Schaden für den Staat, wenn gerade jetzt bei so einer sensiblen Frage wie dem Rechtsextremismus der Staat zurückgepfiffen wird?

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zeigt erstmal, dass wir in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben: Wer meint, eine staatliche Maßnahme verletze ihn in seinen Rechten, kann dagegen bei Gericht vorgehen. Und die Gerichte entscheiden unabhängig. Das unterscheidet uns von Russland, China oder anderen Autokratien. Das Compactmagazin verbreitet seit Jahren irritierende, unsägliche Inhalte. Aber auch solche irritierenden Meinungen können von der Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt sein. Man muss jetzt abwarten, wie das Bundesverwaltungsgericht in der Hauptsache entscheidet. Sollte das Gericht das Verbot am Ende kassieren, wäre das nichts, worauf die Verantwortlichen stolz sein könnten.

 […]

Das Bild der Ampel ist nicht gut. Der öffentliche Eindruck ist: Der eine haut auf den anderen ein. Herr Lindner sagt, unter einem Kanzler Habeck, das mache er nicht. Herr Habeck sagt: ,Wenn ich Kanzler wäre, wäre Lindner auch kein Finanzminister.‘  Ist das alles nur Theater oder wirkt das? Begegnen Sie sich, wenn Sie im Kabinett zusammensitzen, auch feindlich oder können Sie ganz sachlich miteinander reden?

Wir haben als Regierung in der Sommerpause sehr viel wichtige Arbeit geleistet. Ich selber war beteiligt an der Vorbereitung eines Gefangenaustauschs, durch den wir sechzehn Menschen aus Putins Kerkern gerettet haben: darunter fünf deutsche Staatsbürger und mehrere Oppositionelle, die die Hoffnung auf ein demokratisches und rechtsstaatliches Russland der Zukunft verkörpern. Ihnen hätte sonst der Tod gedroht. Wir haben außerdem eine Verständigung mit der Union über eine Grundgesetzänderung erzielt: Wir wollen  das Bundesverfassungsgericht stärken, indem wir wichtige Regeln über seine Zusammensetzung und Funktionsweise  in der Verfassung festschreiben.

Vor dem Hintergrund finde ich es bedauerlich, wenn der Eindruck entsteht, dass mehr gestritten als gearbeitet wird. Dadurch wird wichtige Arbeit überdeckt. Und deshalb bin ich auch der Meinung, dass alle sich am Riemen reißen müssen und sich auf ihre Sacharbeit konzentrieren sollten.

[…]

Kommen wir zu ein paar Detailthemen. Schwarzfahren zum Beispiel. Sie haben vorgeschlagen, das aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und nur noch als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Vor kurzem haben rund 100 Wissenschaftler Ihnen geschrieben, dass sie das für keine gute Idee halten, weil das Problem nur zu den Kommunen verschiebe, die sich um Bußgeldverfahren kümmern müssten. Und die Frage der Ersatzfreiheitsstrafe werde auch nicht gelöst, weil es im Ordnungsrecht die Erzwingungshaft gebe. Wie ist denn der Stand der Dinge in Ihren Überlegungen jetzt?

Wir werden in Kürze einen Gesetzentwurf zur Reform des Strafrechts vorlegen. Unser Entwurf wird verschiedene Änderungen des Strafrechts vorsehen - auch eine Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrausweis. Ich teile die Meinung, die gerade auch unter Wissenschaftlern weit verbreitet ist: Man schießt über das Ziel hinaus, wenn man jemanden in ein Strafverfahren zwingt, nur weil er keine Fahrkarte gelöst hat. Zugleich ist klar: Solches Verhalten geht nicht in Ordnung. Deshalb halte ich es für wichtig, dass es eine Sanktion gibt. Ein Ordnungswidrigkeitenverfahren ist hierfür ausreichend und in der Regel weniger aufwendig.

Nun zahlt man ja, wenn man erwischt wird, ohnehin ein erhöhtes Beförderungsgeld, meistens sind das 60 Euro. Die Wissenschaftler, die Ihnen geschrieben haben, die sagen ja, warum sollen wir als Staat da das Geld für private Unternehmen eintreiben? Und ich frage mich, warum haben nicht die Verkehrsbetriebe schon seit Jahrzehnten angefangen ein System aufzubauen, wo man gar nicht den Zug oder Bus besteigen kann, wenn man kein Ticket hat. In den Theater-  oder Kinosaal komme ich auch nur, wenn ich das Ticket vorher bezahlt habe.

Dieser Einwand leuchtet mir nicht vollends ein. Es würde ja vermutlich auch keiner auf die Idee kommen zu sagen: Wenn jemand im Supermarkt ein Päckchen Kaugummi klaut, dann solle das den Staat nichts angehen. Dann soll der Supermarkt seine Privatdetektive ermitteln lassen und dann quasi das Recht in die eigene Hand nehmen… 

In der Regel macht das der Supermarkt. Es ist ja nicht die Polizei, die im Supermarkt durch die Gänge läuft und einen Ladendieb sucht...

Stimmt. Trotzdem rufen die Detektive dann die Polizei. Die Polizei nimmt die Personalien auf, es wird eine Anzeige erstattet und dann läuft eben ein Strafverfahren wegen Diebstahls. Und das hat einen Grund: In unserem Gemeinwesen wollen wir, dass es bestimmte Regeln gibt. Wir haben als Gemeinschaft ein Interesse daran, dass diese Regeln eingehalten werden: Du schlägst keine anderen Menschen, du beklaust keine anderen Menschen, du betrügst keine anderen Menschen und du erschleichst dir auch keinen Vorteil, für den alle anderen etwas bezahlen müssen. All das gehört zum Mindeststandard, den wir als Gesellschaft einfordern. Daher geht es den Staat auch etwas an, diese Regeln durchzusetzen.

 Gibt es noch andere Bereiche in diesem Reformpaket, das Sie angekündigt haben, wo Sie sagen, da werden die Leute sich drüber freuen?

Ein Beispiel: Sie touchieren auf einem Parkplatz ein fremdes Auto, das ist Ihnen ganz unangenehm, Sie wollen dafür gradestehen. Sie warten dann eine halbe Stunde auf den Besitzer des anderen Autos, es passiert nichts. Sie haben vielleicht noch einen dringenden Termin und dann haben Sie Angst. Denn wenn sie den Parkplatz verlassen, machen sie sich strafbar.

Das ist derzeit noch ein echtes Problem. Wir wollen die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass man den Unfall sicher so melden kann, dass der Geschädigte an sein Geld kommt. Dabei geht es nur um Blechschäden, nicht um Personenschäden. Und mit einer solchen Meldestelle wollen wir es Menschen ermöglichen, rechtssicher anzuzeigen, dass man da ein Auto touchiert hat, einen Kratzer verursacht oder den Spiegel abgefahren hat. Zukünftig kann man dann nach der Meldung den Unfallort verlassen, ohne sich strafbar zu machen.

Soll dafür eine neue Behörde aufgebaut werden?

Ich möchte keine neue Behörde. Wir schauen, dass wir das mit der Polizei hinbekommen, die ja ansonsten ausrücken müsste. Außerdem kann ich mir auch vorstellen, dass die Versicherungswirtschaft selber ein Interesse daran hat, mit uns zusammen eine solche Meldestelle aufzubauen.

 Ein anderes Thema. Bauen. Da geistert der Begriff vom neuen Gebäudetyp E durch das Land, der das Bauen erleichtern und kostengünstiger machen soll. Welche Vorschriften fallen da genau weg?

Man kann sich das vorstellen wie beim Autokauf. Jedes Auto, das Sie kaufen, muss sicher sein. Aber es gibt auch Ausstattungsteile, die sind reiner Luxus: Ledersitze zum Beispiel. Viele Menschen sagen, ich brauche ein sicheres, ordentliches Auto, aber keine Ledersitze. Die spare ich mir. Ich nehme nicht die Luxusausstattung, sondern die Grundausstattung. Beim Bauen ist das derzeit gar nicht so einfach wie beim Autokauf. Es gibt in Deutschland ungefähr 3.000 DIN-Normen, die das Bauen betreffen. Viele davon betreffen Komfortfragen, also zum Beispiel die Frage: Wie viele Steckdosen sind im Raum? Oder die Frage: Brauche ich im Raum mit Fußbodenheizung auch noch einen Heizkörper?

Viele Bauträger haben Angst, dass sie eines Tages verklagt werden, wenn sie eine DIN-Norm nicht erfüllen. Deshalb lassen sie sich auf Abweichungen von diesen Normen ungern ein. Das ist in etwa so, als ob man beim Autokauf immer nur die Komplettausstattung des Luxuspakets kaufen müsste.

Viele Menschen könnten sich natürlich ein solches Auto gar nicht leisten. Beim Bauen gilt  das Gleiche. Das führt dazu, dass sich viele Menschen das Bauen gar nicht mehr leisten können, weil man heute quasi immer die Vollausstattung kaufen muss. Der Gebäudetyp E soll es möglich machen, dass man auf Komfortnormen verzichten und so fünf oder zehn Prozent Kosten sparen kann. So machen wir das Bauen günstiger. So können sich mehr Menschen eine eigene Wohnung oder ein kleines Häuschen leisten. Und günstigeres Bauen bedeutet auch günstigere Mieten.

Ich stelle mir da ganz schwierig vor, wenn Sie da über einzelne Normen reden müssen, ist jetzt wirklich zwingend notwendig, weil sie ein Teil der Sicherheit ist oder ist sie nice to have?

Es gibt ja etwa 3.000 DIN-Normen zum Bauen in Deutschland. Da gibt es einmal Regeln, die die Sicherheit betreffen, und zum anderen Regeln, die den Komfort betreffen. Diese Unterscheidung haben wir uns nicht ausgedacht, die gibt es schon. Sie ist von der Rechtsprechung entwickelt worden und sie hat hohe Akzeptanz unter Fachleuten.

Können Sie ein ganz konkretes Beispiel nennen?

Es gibt so eine Komfortnorm, wonach man ein Badezimmer immer auf 24 Grad beheizen können muss. Wenn es im Badezimmer eine Fußbodenheizung gibt, dann ist es nicht sichergestellt, dass ich immer 24 Grad erreichen kann. Deshalb wird zusätzlich immer noch ein großer Heizkörper eingebaut. Damit man immer sagen kann, wenn man beides aufdreht, erreicht man auf jeden Fall diese 24 Grad. Ich finde: Der Bauherr soll selber entscheiden können, ob 22 Grad im Bad nicht auch reichen. Das können wir erwachsenen Menschen schon zutrauen.

Was ist mit Umweltvorschriften, etwa der Wärmedämmung. Zwingend oder Komfort?

Bei unserem Vorhaben geht es ausschließlich um Standards ohne Gesetzeskraft. Niemand muss also die Sorge haben, dass gesetzlich angeordnete Schutzvorschriften umgangen werden. Es geht um die etwa 3.000 DIN-Normen für den Bau, die wir in Deutschland haben.

 Wann können Bauherren damit rechnen, dass die neuen Regeln greifen?

Ich glaube, dass es relativ schnell gehen kann. Denn mit der Bauministerin bin ich mir einig. Deshalb kann ich mir vorstellen, dass wir vielleicht im Frühjahr des kommenden Jahres schon so weit sind, dass es im Bundesgesetzblatt steht. Und dann hoffe ich, dass auch schnell davon Gebrauch gemacht wird.

 Ein verwandtes Thema ist das Bauland.  In jeder Stadt gibt es brach liegende, baureife  Grundstücke, von irgendwem als Kapitalanlage gehalten werde.  Kann man nicht etwas dagegen machen, dass diese Grundstücke doch schneller bebaut werden und nicht als Kapitalanlage genutzt werden?

Man kann nicht pauschal sagen, dass es missbräuchlich ist, wenn jemand ein Baugrundstück erwirbt und dann nicht sofort bebaut. Dafür kann es gute Gründe geben. Das kann daran liegen, dass man vielleicht noch ein bisschen braucht, um die Finanzierung dann für die Errichtung des Gebäudes zu organisieren. Das kann den Grund haben, gerade in kleineren Städten, dass Menschen ihren Kindern die Möglichkeit eröffnen wollen, später in der Nähe der Eltern und Großeltern ein Haus zu bauen.

Insgesamt glaube ich aber, dass wir als Politik doch eine Menge tun können, um mehr Baumöglichkeiten zu schaffen. Die Erschließung von Bauland, ist sicher ganz wichtig. Wir haben über viele Jahre geglaubt, dass die deutsche Wohnbevölkerung schrumpft und haben dann mehr über Flächenversiegelung als über die Erschließung neuen Baulandes gesprochen. Ich glaube, das muss sich ändern. Wir wachsen.  Wenn wir mehr Menschen sind, brauchen wir auch mehr Wohnraum. Neben mehr Bauland sollten wir über die Nachverdichtung nach oben reden. Das hat den Vorteil, dass Bauland schon bezahlt ist und keine zusätzlichen Flächen versiegelt werden.

Reden wir über Schrottimmobilien, mit denen sich ganz, ganz viele Städte und Gemeinden herumplagen. Wie könnte der Bundesjustizminister den Kommunen helfen, dass diese Schandflecken leichter zu beseitigen sind?

Ich bin als Justizminister schon aktiv geworden. Ich habe ja ein Schrottimmobilien-Missbrauchsbekämpfungsgesetz auf den Weg gebracht. Damit gehen wir gegen den Missstand vor, dass ausländische Briefkastenfirmen häufig zum Schein in der Zwangsversteigerung eine Immobilie erwerben. Ich sage deshalb zum Schein, weil die häufig nie vorhaben, den Kaufpreis voll zu bezahlen. Sie machen eine Anzahlung, kriegen dann sofort Verfügungsgewalt über die Immobilie. Mit der machen sie nichts, lassen sie weiter verkommen und quartieren dort arme Menschen ein, die häufig aus Südosteuropa stammen, also Armutsmigranten. Die werden da unter erbärmlichen Bedingungen untergebracht und denen werden dann absurde Mietzahlungen dafür abgepresst. Der Kaufpreis wird nie bezahlt.

Dann kommt irgendwann die nächste Zwangsversteigerung und dann geht das Spiel mit den Briefkastenfirmen weiter: Nach der – vereinfacht gesagt - Cayman Island Limited I erwirbt dann die Cayman Island Limited II die Immobilie – auf dieselbe unseriöse Weise, wieder in der Zwangsversteigerung. Vermutlich stecken oft sogar die gleichen Leute dahinter.  Dann beginnt das Drama von vorne.

Dem schieben wir jetzt ein Riegel vor. Wir wollen den Kommunen ein effektives Instrument an die Hand geben, um gegen den Missbrauch vorzugehen: Solange der volle Kaufpreis für eine Problemimmobilie nicht bezahlt ist, sollen sie verlangen können, dass ein gerichtlicher Verwalter die Immobilien bewirtschaftet. Diese Verwalter betreiben natürlich nicht dieses unseriöse Geschäft, sondern die schauen sich dann an, was man seriös mit dieser Immobilie machen kann. Und weil diese Missbrauchsmodelle nur funktionieren, wenn man den Kaufpreis nie bezahlt, bricht das jetzt wie ein Kartenhaus zusammen.

Wir wollen auch ein zweites Problem lösen, das den Kommunen Kopfschmerzen bereitet. Die Kommunen wissen oft gar nicht genau, wie sie den Eigentümer von Problemimmobilien erreichen können: Denn diese Immobilien werden - wie gesagt - oft genug von Briefkastenfirmen außerhalb der EU gehalten. Ihnen können die Kommunen Ordnungsverfügungen oft nicht zustellen. Ich möchte gesetzlich vorschreiben, dass solche Gesellschaften von außerhalb der EU einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland bestellen müssen, wenn sie eine Immobilie erwerben. Für die Kommunen würde dadurch die Notwendigkeit entfallen, aktuelle ausländische Anschriften zu ermitteln und schwierige und zeitaufwändige Zustellungen der Ordnungsverfügungen außerhalb der EU zu veranlassen.

Ein anderes Thema ist Unterhaltsrecht. Da hatten Sie bereits vor geraumer Zeit angekündigt, dass es da eine Reform geben soll. Bisher ist die Regel ja grob vereinfacht, einer betreut, einer bezahlt. Wie soll es denn künftig sein und wie weit ist Ihre geplante Reform?

Der Gesetzesentwurf zur Reform des Unterhaltsrechts ist seit Monaten fertig. Ich bin guter Dinge, dass wir schon bald mit unserem Paket für eine Reform des Familienrechts an die Öffentlichkeit gehen können. Das heißt, ich werde das Unterhaltsrecht zusammen mit einer Reform des Kindschaftsrechts und dem neuen Abstammungsrechtvorstellen. Auch die Arbeiten an den beiden anderen Entwürfen sind im Prinzip abgeschlossen.

Beim Unterhaltsrecht haben wir seit Jahren Einigkeit unter allen Experten, dass das reformiert werden muss. Das geltende Unterhaltsrecht ist sehr ungerecht. Es geht noch immer von der Vorstellung aus: einer betreut, einer bezahlt. Aber die Lebenswirklichkeit ist ja eine völlig andere. Heute wollen sich meistens beide Partner nach der Trennung um das Kind kümmern und nicht nur „Wochenendelternteil“ sein. Das führt dazu, dass es Väter gibt, die zu 30, teilweise sogar mehr als 40 Prozent Betreuungsleistung erbringen, aber trotzdem im Unterhaltsrecht so behandelt werden wie Väter, die gar nichts machen. Das empfinden die Betroffenen natürlich als eine große Ungerechtigkeit. Und das wollen wir jetzt eben möglich machen, dass wenn ein substanzieller Betreuungsanteil erbracht wird von einem Partner, man das dann auch bei der Unterhaltszahlung berücksichtigt.

Betrifft das Gesetz dann auch den Unterhalt für den Ex-Partner?

Ehegattenunterhalt und Kindesunterhalt sind zwei getrennte Dinge. Wir sprechen jetzt über den Unterhalt für das Kind und in unserer Unterhaltsrechtsreform geht es genau darum.

Ein weiteres Thema, für das Sie zuständig sind, ist der Bürokratieabbau. Die Klagen nicht nur aus der Wirtschaft sind Legion. Wie steht es um den Abbau von Bürokratie?

Deutschland leidet an einem Bürokratieburnout. Bürger, Betriebe und selbst Behörden sind so erschöpft von der bürokratischen Belastung, dass sie häufig gar nicht mehr dazu kommen, ihr Kerngeschäft zu erledigen. Das müssen wir ändern. Als Bundesregierung haben wir den Bürokratieabbau in den Fokus unseres Handelns gerückt. Mit dem Meseberger Bürokratieabbaupaket haben wir das größte Entbürokratisierungsprogramm auf den Weg gebracht, das es bislang gab. Trotzdem planen wir noch weitere Maßnahmen. Bürokratieabbau ist Daueraufgabe.

Gleichzeitig sagen viele Leute, es ist wahnsinnig viel immer noch und wir haben das Gefühl, dass es mehr wird.

Diese Wahrnehmung ist nicht falsch. Vorschriften kommen nicht nur vom Bund. Auch die Länder und Kommunen produzieren Bürokratie. Aber größter Bürokratieproduzent ist die Europäische Union. Mehr als die Hälfte des sogenannten Erfüllungsaufwands – das ist die Währung, in der Bürokratieexperten die Belastung messen – kommen aus der Umsetzung europäischen Rechts. Und insbesondere in den letzten fünf Jahren ist da wahnsinnig viel dazugekommen. Die neue EU-Kommission muss substanziell Vorschriften abbauen und nicht permanent mehr produzieren. Dafür setze ich mich bei der Kommission ein, auch mit konkreten Vorschlägen und bekomme dafür Unterstützung von meinen europäischen Kollegen.

Welche Rolle spielt beim Bürokratieabbau der Datenschutz? Behörden dürfen Daten nicht austauschen, man x-mal Formulare ausfüllen und unterschreiben. Geht das nicht einfacher?

Grundsätzlich lässt das Datenschutzrecht zu, dass, wenn man eine Einwilligung erteilt, auch personenbezogene Daten ausgetauscht werden können. Im staatlichen Datenmanagement, wenn ich das so nennen darf, stoßen wir aber häufig auf ganz andere Probleme. Oft fehlt uns die technische Infrastruktur, um Daten auszutauschen. Was mir Unternehmen als größtes Problem beim Datenschutz schildern, ist gar nicht das Datenschutzrecht an sich. Wir haben zum Beispiel mit der DSGVO eigentlich die Idee gehabt: Wir machen ein einheitliches Datenschutzrecht für ganz Europa. Im deutschen Föderalismus haben wir es aber dazu gebracht, dass wir allein in Deutschland 16 Landesdatenschutzbeauftragte haben, die die DSGVO schon in Deutschland teilweise unterschiedlich auslegen. Das kann dazu führen, dass Sie wahnsinnig werden, wenn Sie in mehreren Bundesländern gleichzeitig aktiv sind.

Datenschutz ist ja nur ein Problem, an dem der Föderalismus ein Problem zu sein scheint. Ist der Föderalismus Hefe für immer mehr Bürokratie? Unser Grundgesetz, unser Föderalismus ist jetzt 75 Jahre alt. Ist es nicht an der Zeit, grundsätzlich nochmal zu überdenken, welche Aufgaben man im 21. Jahrhundert vielleicht doch zentral regeln und welche man auf kommunaler, auf Länderebene belassen sollte? Einfach alles mal so neu sortieren, dass es sinnvoll ist und weniger Doppelarbeit und Konfusion gibt?

Das finde ich grundsätzlich eine gute Idee. Wir hatten die Föderalismuskommissionen I und II, die zu Änderungen bei den Zuständigkeiten zwischen Land und Bund geführt haben. Ich kann mir gut eine Föderalismuskommission III vorstellen. Das kann aber nur gelingen, wenn das im politischen Raum breit getragen wird. Denn für eine Verfassungsänderung braucht man nicht nur im Deutschen Bundestag eine Mehrheit von 2/3 der Stimmen, sondern auch im Bundesrat 2/3. Ich wäre offen für so etwas. Wenn es da eine Bereitschaft bei den seriösen Parteien gäbe, sich auf so etwas einzulassen, würde ich das sehr begrüßen.

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