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DokumenttypDocTypeRede | Datum08. Dezember 2022Rede des Bundesministers der Justiz Dr. Marco Buschmann MdB auf der Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung

Rede des Bundesministers der Justiz Dr. Marco Buschmann MdB auf der Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung „Anwälte und Anwältinnen als Menschenrechtsverteidiger. Internationale Konferenz zum Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ am 8. Dezember 2022 in Berlin

Wenn man in Europa in den letzten Jahren über Menschenrechte redete, so schien das oft ein zwar wichtiges, aber auch meist eher entferntes Thema zu sein. Über Menschenrechte spricht man vor allem, wenn sie verletzt werden. Und Menschenrechtsverletzungen geschahen oft woanders, am häufigsten in autoritären Staaten und natürlich im Krieg. All das schien relativ weit weg von Europa.

Die Annexion der Krim 2014 hielten dann viele, zu viele von uns für eine Verirrung, ja eine Art Versehen. Wir haben glauben wollen, dass dieser Bruch des Völkerrechts eine Ausnahme bleiben werde. Deswegen wurde Putins Expansion zwar nicht völkerrechtlich anerkannt, aber doch faktisch toleriert; deswegen schloss man Russland zwar aus den G8 aus, aber enthielt sich nennenswerter Sanktionen; deswegen beklagte man zwar die systematischen Menschenrechtsverletzungen auf der Krim, aber zog keine Konsequenzen daraus; und deswegen haben wir nicht aufgehört, das Projekt Nordstream 2 voranzutreiben. Mit dem Wissen von heute, das muss man klar sagen, war das ein Fehler.

Putin nahm das als Bestätigung wahr. Er folgerte, dass billiges Gas wichtiger sei als das Gewaltverbot der UN-Charta, das Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie Freiheit und Recht der Menschen in der Ukraine.

Russlands Krieg gegen die Ukraine ist nicht nur ein Bruch des Völkerrechts. Täglich werden auch die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen an der ukrainischen Bevölkerung verübt. Man will es nicht für möglich halten, dass das in Europa passiert.

Wir sollten uns aber einer topographischen Tatsache bewusst sein: Von Berlin nach Butscha sind es ungefähr 1250 Kilometer. 50 Kilometer weniger sind es von Berlin nach Srebrenica.
Die Jugoslawienkriege endeten 2001. Kein Vierteljahrhundert hat es also gedauert, bis in Europa wieder Menschenrechte mit Soldatenstiefeln getreten wurden. Vielleicht sind wir gar nicht der Kontinent des Friedens, der wir endlich hofften zu sein.

Wir sollten uns aber auch einer rechtshistorischen Tatsache bewusst sein: Mladić, Karadžić, Milošević, sie alle landeten auf der Anklagebank. Und dort werden auch die Verantwortlichen der Verbrechen in der Ukraine landen, wenn wir ihrer habhaft werden. Dessen bin ich sicher.

Es gibt natürlich auch Menschenrechtsverletzungen abseits von Kriegsschauplätzen. Und es gibt sie auch in Europa. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist nicht als symbolische Institution eingerichtet worden. Alle Mitgliedsstaaten des Europarates haben die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet und den Gerichtshof anerkannt.
Regelmäßig ergehen hier Urteile gegen die Unterzeichnerstaaten, also auch gegen Deutschland. Regelmäßig werden hier Bürgerinnen und Bürger wieder in ihr Recht gesetzt.

Das ist übrigens eins der Prinzipien, die unsere Demokratien zu liberalen Demokratien machen: Wir wissen, dass alle staatliche Macht gemäßigt werden muss – selbst wenn sie demokratische legitimiert ist. Auch der demokratisch legitimierte Staat muss die unveräußerlichen Rechte des individuellen Menschen respektieren. Und damit Rechte des Einzelnen den Staat auch wirklich mäßigen, ist es am besten, wenn man diese Rechte auch einklagen kann. Diesen Weg hat das Grundgesetz mit der Verfassungsbeschwerde beschritten. Diesen Weg eröffnet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte allen Bürgerinnen und Bürgern seiner Mitgliedstaaten.

Und das ist der große Unterschied zwischen Menschenrechtsverletzungen in autoritär regierten Staaten und liberalen Demokratien: Dort sind sie ein Mittel des Systems, hier sind sie ein Fehler des Systems; dort macht der Staat von ihnen Gebrauch, hier sind sie dem Staat untersagt.

Russland hat in diesem Jahr auch keinen Wert mehr darauf gelegt, Mitglied des Europarats und an die Europäische Menschenrechtskonvention gebunden zu sein. Das spricht Bände.

Die Europäische Menschenrechtskonvention steht eindeutig unter dem Einfluss der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, deren 75jähriges Jubiläum wir nächstes Jahr am 10. Dezember feiern dürfen.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist zwar rechtlich unverbindlich. Aber ihre ethische und politische Wirkung ist stark.
Sie resultiert aus ihrer Universalität. Es gibt immer wieder Versuche, ihre Gebote zu relativieren. Oft wird der Vorwurf geäußert, dass hier eine westlich geprägte Sicht der ganzen Welt oktroyiert werden solle. Doch die bedeutenden Menschenrechtsverträge sind von Staaten aller Kulturen und Religionen unterzeichnet worden. Und es ist kein Opfer von Menschenrechtsverletzungen bekannt, das diese Verletzungen mit der eigenen Kultur oder Religion rechtfertigen würde.
Die Menschenrechte schützen nämlich keine westliche Kultur, sondern fundamentale Bedürfnisse des Menschen an sich – jenseits von Kultur, Religion oder Staatsorganisation.

Wer die Universalität der Menschenrechte anzweifelt, der sucht eine Rechtfertigung, Menschrechte zu verletzen.

Allerdings wollen sogar autoritäre Regime meist nicht offiziell gegen die Menschenrechte verstoßen, genauso wie sie offiziell nicht gegen das Völkerrecht verstoßen wollen.
Das Recht erzeugt Begründungszwänge, denen sich sogar die notorischen Rechtsbrecher nicht entziehen können.

Auch die Regierungen autokratischer Staaten pochen stets darauf, im Rahmen des Rechts zu handeln. Auch dort finden Gerichtsprozesse statt, um zumindest den Anschein der Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Natürlich sind diese Prozesse zumeist eine Farce.

Aber manchmal bieten sie, eher nolens als volens, die Gelegenheit, dass sich das Recht gegenüber dem Unrecht durchsetzt. Und an dieser Durchsetzung haben Menschenrechtsanwältinnen und -anwälte ihren wesentlichen Anteil, ja ohne sie könnte das gar nicht funktionieren.

In seinem neuesten Buch Menschenrechte. Ein Appell schreibt Gerhart Baum: „Im Laufe der Jahrzehnte ist immer stärker ins Bewusstsein gekommen, dass die Durchsetzung der Menschenrechte davon abhängt, dass Einzelne Widerstand gegen Willkür, Ausbeutung, Armut und Missachtung ihrer Bürgerrechte leisten.“

Es bedarf Einzelner, und in den meisten Fällen bedarf es mutiger Einzelner. Denn ohne Mut kann man als Anwalt im Iran keine Klage gegen Revolutionsgarden im Namen von inhaftierten und misshandelten Personen einreichen. Ohne Mut kann man in Russland keine Organisation wie Memorial gegen deren Schließung durch den russischen Staat verteidigen.
Ohne Mut kann man sich nicht in Belarus für politische Gefangene, Demokratisierung und Wahlbeobachtungen einsetzen.

Dass der weißrussische Menschenrechtsanwalt Ales Bialiatski dieses Jahr mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt wurde, zeigt, dass sich die Welt der Wichtigkeit dieser Einzelnen bewusst ist. Dass Bialiatski inhaftiert ist, zeigt aber auch, wie dringlich der Schutz der Menschenrechtsverteidiger ist.

Wir werden vielleicht nicht ändern können, dass es für diese Arbeit des Mutes bedarf. Aber wir sollten alles daran setzen, dass diese mutigen Menschen nicht um ihr Leben und ihre Freiheit fürchten müssen.

Unsere Gedanken sind gerade in diesen Wochen bei den Menschen, die aufbegehren und sich nach Recht und Freiheit sehnen – in Russland, im Iran, in China!
Und ich bin immer wieder beschämt, wenn auch in Deutschland mit Respekt und Begeisterung von dem chinesischen Modell gesprochen wird, dass man dort durchregieren könne. Denn wir sehen es ja gerade an der fatalen Coronapolitik Chinas, dass dieses Modell eben nicht bessere Lösungen bietet als die liberalen Demokratien.
Dem Autoritarismus gehört, dessen bin ich mir sicher, nicht die Zukunft! Sie gehört der Freiheit und sie gehört dem Recht!

Menschenrechtsverteidiger arbeiten in Krisenregionen, aber auch inmitten friedlicher Gesellschaften. In Ihren Panels widmen Sie sich beidem. Und das ist wichtig.

Menschenrechtsanwälte haben ein breites Betätigungsfeld. Das macht ihren Wert aus. Sie sind Mahner der Rechtsstaatlichkeit, wenn viele von deren Bedrohung noch nichts wissen oder wissen wollen. Häufig sind gerade sie besonders sensibel für Menschenrechtsverletzungen.

Und leider genau aus diesen Gründen sind diese Einzelnen in einer wachsenden Zahl von Staaten Repressalien ausgesetzt, auch in Europa: Ihre Arbeit wird behindert, sie werden überwacht und erleiden persönliche Nachteile aufgrund ihres Engagements für Menschenrechte.

Es ist daher sehr zu begrüßen, dass der Europarat den rechtlichen Schutz von Anwälten sicherstellen und erhöhen möchten. In einem Expertengremium des Ausschusses für rechtliche Zusammenarbeit wird derzeit an einem entsprechenden Rechtsinstrument gearbeitet. Es wird sehr wahrscheinlich auf eine bindende völkerrechtliche Konvention hinauslaufen.
Rechte und Schutzstandards für Anwälte in den Mitgliedstaaten des Europarates und darüber hinaus sollen festgeschrieben werden.

Die Anwaltschaft ist für die Wirksamkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention von entscheidender Bedeutung:
Als Verfahrensvertreter von Beschwerdeführern vor dem EGMR eröffnen die Anwälte Menschen Zugang zum Recht, die sich in ihren Konventionsrechten verletzt sehen.

Gleichzeitig haben sie aber auch eine Filterfunktion: Sie raten von einer Beschwerde ab, wenn schon die Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt sind oder wenn eine Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat. Damit leisten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte einen wichtigen Beitrag dazu, den EGMR funktionstüchtig zu halten.

Die Aufgabe von Rechtsanwälten endet nicht mit einem Urteil des EGMR. Auch im Umsetzungsprozess können sie die Interessen ihres Mandanten vertreten. Das wurde vor kurzem klargestellt durch eine Ergänzung der Verfahrensvorschriften für die Umsetzungskontrolle durch das Ministerkomitee des Europarates, und auch das ist ein Fortschritt für die Rechte des Einzelnen.

Anwälte, meine Damen und Herren, erst recht Menschenrechtsanwälte, sind keine Begleiterscheinung des Rechtsstaats. Sie sind sein essentieller Bestandteil.
Ein Rechtsstaat, der dieser Bezeichnung würdig sein will, hat sich für sie einzusetzen.
Ein Rechtsstaat, der sich zu den Menschenrechten bekennt, muss sich auch zur Verteidigung der Menschenrechtsverteidiger bekennen.

Wenn jemand fragt: „Wer verteidigt die Verteidiger“, muss die Antwort lauten: Wir! – Ich danke Ihnen!!

‒ Es gilt das gesprochene Wort! ‒