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DokumenttypDocTypeRede | Datum20. September 2024Rede des Ministers bei der Veranstaltung „German Law Journal – 25th Anniversary“ der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin

Deutsche Fassung der Rede des Bundesministers der Justiz, Dr. Marco Buschmann bei der Veranstaltung „German Law Journal – 25th Anniversary“ im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin am 20. September 2024

Jubiläen sind immer was Schönes – da sind Ton und Stimmung gleich viel positiver als sonst so oft in diesen herausfordernden Zeiten! 

Ich habe zuletzt oft Gelegenheit, den methodischen Optimismus zu erklären, dem ich anhänge: Die Überzeugung, dass wir Menschen die Dinge zum Besseren verändern können, wenn wir uns anstrengen. Ich glaube nicht, wie Hegel es tat, dass die Dinge sich irgendwie dann doch von selbst und mit subtiler List der Vernunft und mit der Hilfe sehr großer Männer verbessern. Hegel hat für meinen Geschmack auch zu viele menschliche Opfer für diese Sicht der Dinge intellektuell in Kauf genommen.

Aber wir können die Dinge zum Besseren wenden, wenn wir etwas tun, wenn wir uns anstrengen, wenn wir guten Ideen folgen und sie dann auch umsetzen.

Sie und wir feiern heute ja einen solchen Fall. Als Russell Miller und Peer Zumbansen Ende der 90er Jahre Wissenschaftliche Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe waren, spürten sie, dass Juristen weltweit zunehmend in Kontakt mit anderem Recht und anderen Rechtssystemen kamen. Und sie spürten zugleich, dass Rechtspraktiker und Rechtsforscher damals wenig Möglichkeiten hatten, über diese bereichernde transnationale Dynamik nachzudenken und sie zu verarbeiten. So haben die beiden selbst die Ausgangsposition beschrieben.

Also fackelten sie nicht lange und schufen einen zweiwöchentlichen Newsletter über deutsches Verfassungsrecht für eine englischsprachige Leserschaft. Aus diesen Anfängen wurde rasch das German Law Journal – heute in Kooperation mit Cambridge University Press und die führende Online-, peer-reviewed Rechtszeitschrift. Die Superlative ließen sich noch vermehren.

Aber vor allem: Das Journal war nie nur ein Erklärblatt für deutsches Verfassungsrecht. Von Anfang an war es ein Forum für die transnationale wechselseitige Unterrichtung und Reflexion über Rechtssysteme und Rechtskulturen in all ihrer Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit. Wer Entwicklungen in europäischem Recht, internationalem Recht und Rechtsvergleichung verstehen will, muss diese Zeitschrift im Blick haben. Sie holen regelmäßig auch andere Disziplinen ins Boot und bereichern die internationale Perspektive noch durch die interdisziplinäre.

All das ist großartig und wichtig und ich will Ihnen als Verfassungsjurist und als Bundesjustizminister dafür danken und Ihnen gratulieren, wie Sie es verdienen!

Nun ist diese Notwendigkeit von Trans- und Internationalität nicht nur eine wissenschaftliche. Sondern sie ist natürlich auch eine eminent politische Notwendigkeit.

Die gegenseitige Erhellung, das Einanderkennenlernen, auch voneinander zu lernen und in aller Verschiedenheit unserer Rechtskulturen doch beieinander zu bleiben – all das ist eine Grundbedingung des Überlebens der liberalen Demokratie heute überhaupt.

Wir sehen uns heute einer neoautoritären Allianzenbildung, einer neuen Achse von Autokratien gegenüber, die nichts so sehr verbindet wie die ausdrückliche und blutige Missachtung des Rechts – im Dienste bindungsloser Macht. Und diese Autokratien wünschen und betreiben nichts so sehr wie die Spaltung der liberalen Demokratien dieser Welt.

Wir dürfen uns nicht auseinandertreiben lassen in einer Welt, in der es genau daran ein großes Interesse gibt. China etwa versucht das immer wieder: Deutschland und die USA auseinanderzutreiben. Ich habe es auch als Justizminister erlebt.

Zu recht steht heute die eigenständige europäische Verteidigungsfähigkeit oben auf der politischen Agenda. Aber das transatlantische Verhältnis bleibt wichtig wie eh und je.

Es bleibt wichtig wie eh und je, dass man hier wie dort versteht, wie wir jeweils rechtlich denken. Es bleibt wichtig, dass wir uns nicht voneinander wegbewegen, dass wir uns einander verständlich machen. Wir Deutschen jedenfalls bleiben dankbar orientiert an der ältesten Demokratie der Welt! 

Und wir haben ja große Aufgaben, die noch nicht erledigt sind.

Aus meiner Sicht haben wir die Mission des Völkerrechts. Sinkt das Völkerrecht zur unverbindlichen Verabredung herab? Oder schaffen wir es, dass sich souveräne Staaten diesem Recht unterwerfen und die Gewalt des Krieges wenigstens eindämmen? Wer denn, wenn nicht die USA und Europa sollen dazu in der Lage sein, der Idee des Völkerrechts zu genügen? Der Idee, dass auch Staaten sich an Regeln halten?

Auch in Europa selbst ist das Recht umkämpft und wird es bestritten.

Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass Verfassungsgerichte unter Druck gesetzt wurden. Sie sollten vom Beschützer der Verfassung zum Erfüllungsgehilfen parlamentarischer Mehrheiten werden. Wir haben eine ganze Reihe von Taktiken beobachten können, mit denen die Arbeitsfähigkeit und Unabhängigkeit von Verfassungsgerichten attackiert wurden.

Vieles davon wäre auch in Deutschland denkbar. Eine Bundestagsmehrheit könnte etwa auf die Idee kommen, dem Bundesverfassungsgericht zusätzlich zu den bisherigen beiden Senaten noch zwei weitere hinzuzufügen. Und dann werden diese beiden neuen Senate mit Juristen besetzt, die der Bundestagsmehrheit politisch nahestehen. Vergleichbares konnten wir in Ungarn beobachten.

In Polen wurde die Ruhestandsgrenze für Richter heruntergesetzt, um unliebsame Richter aus dem Amt zu entfernen und sie durch Getreue der Regierung zu ersetzen.

In Israel konnten wir die Debatte zu einer Justizreform verfolgen, die das Verfassungsgericht geschwächt hätte.

Solche Entwicklungen wollen wir in Deutschland verhindern – Sie werden das verfolgt haben: Wir werden das Bundesverfassungsgericht resilienter machen. Ich denke, dass Sie dies auch deshalb interessiert, weil dieses Journal ja sozusagen im Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geboren wurde – ein guter Moment also, um Ihnen hier kurz zu schildern, was wir vorhaben und was wir uns dabei gedacht haben.

Vor allem: Wir haben uns keine neuen Regeln und Strukturen ausgedacht. Sondern es sollen zentrale Strukturvorgaben, die sich nach einhelliger Beurteilung bewährt haben, vom einfachen Gesetzesrecht auf die Ebene der Verfassung gehoben werden. Das sind insbesondere:

  • der Status des Gerichts und die die Amtszeit der Richter (12 Jahre),
  • die Altersgrenze der Richter (68 Jahre),
  • die Zahl der Richter (16) und die Zahl der Senate (2),
  • der Ausschluss der Wiederwahl der Richter,
  • die Fortführung der Amtsgeschäfte bis zur Wahl eines Nachfolgers,
  • die Bindungswirkung der Entscheidungen des Gerichts und
  • die Geschäftsordnungsautonomie des Gerichts.

Ich denke, nach einer großen Erfolgsgeschichte dieses Gerichts tun wir hier, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes selber so entschieden hätten, wenn sie damals das Wissen von heute gehabt hätten.

Zu dieser sehr aktuellen Thematik werden wir gleich ja auch Adam Bodnar hören. Ich bin froh und dankbar, mit ihm seit seinem Amtsantritt in gutem Austausch und in bereichernden Gesprächen zu stehen. Und ich bewundere seine Umsicht bei dieser schwierigen Aufgabe, the rule of law wieder zu installieren, ohne neue tiefe Gräben aufzureißen.

Das liberale Rechts- und Verfassungsdenken schien ja eine Zeit lang alternativlos. Es schien in der Welt nach 1990 gesiegt zu haben. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 ist das gekippt. Wir kennen die Geschichte. Es wurde wieder möglich zu fragen, ob autoritäre Ansätze vielleicht doch erfolgreicher, leistungsstärker seien? Das sind sie nicht. Aber wir müssen die Vorteile verlässlicher Regeln immer neu beweisen.

Es gibt nicht nur eine Richtung der Geschichte. Wir halten unsere für richtig, aber wir müssen für unser Verfassungs- und Rechtssystem werben. Und dafür brauchen wir auch den transnational erklärenden Geist eines German Law Journal.

Dabei darf, mein letzter Punkt, die Selbstgewissheit nie so groß werden, dass sie die Schwächen und Gefahren des Eigenen nicht mehr sieht. Recht muss sich selbst und seine Reichweite immer neu reflektieren. 

Ich werde die Errungenschaft eines starken verfassungsrechtlichen Schutzes der Minderheit gegen die Mehrheit in der liberalen Demokratie immer preisen und hochhalten. Aber das Recht tut gut daran, sein Verhältnis zur demokratischen Politik immer neu zu bedenken. Denn Recht soll demokratische Politik auch ermöglichen, nicht nur begrenzen.

Wir wissen alle, wie verschieden diese Frage in den verschiedenen demokratischen Rechtskulturen weltweit beantwortet ist. Und auch das ist deshalb eine transnationale Reflexion, die in dem Journal, das wir heute feiern, sehr gut aufgehoben ist!

Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch!

‒ Es gilt das gesprochene Wort! ‒